
THE HOOT OWL - Mark Merritt Band
Amazing Records AE55320 LC 11491 (2013)Wer immer noch behauptet, es gibt keine gute zeitgenössische Country-Musik aus Deutschland, sollte sich die CD The Hoot Owl von der Mark Merritt Band anhören. Gut möglich, dass sich anschließend dieses Vorurteil in Luft auflöst.
Die Band
Mark Merrit wurde in Virginia geboren und wuchs in North Carolina auf. Im Alter von zwölf Jahren spielte er Klarinette und Saxofon in Schulbands. Seine frühe Liebe zur Countrymusik ließ ihn bald zur Gitarre wechseln, zu der es sich ja gut singen lässt. Mark verbrachte zwölf Jahre in der US Armee, zumeist als Saxofonist und Arrangeur in Militärbands, die in Korea, Japan, den Vereinigten Staaten und Deutschland stationiert waren. Im zuletzt genannten Land begann er nach dem Ausscheiden aus der Armee eine Karriere als Musiker. Über all seine Bandprojekte zu schreiben, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Seit geraumer Zeit bekannt ist Mark als Sänger mit eigenen, eindrucksvollen Kompositionen, die besten davon transportieren oft nachvollziehbare Erkenntnisse mitten aus dem Leben. Im Jahre 1999 gründete er gemeinsam mit Sievert Ahrend die Mark Merritt Band. Mark spielt Gitarre auf eine Weise, die zwar auf Anhieb leicht und locker klingen mag, aber dennoch gehaltvoll und abwechslungsreich wirkt und zugleich schwingt ein fein dosierter Ernst durch seine Musik.Wer sich in der deutschen Country Musikwelt auskennt, dem ist der Name Sievert Ahrend geläufig. Seit mehr als dreißig Jahren widmet der gebürtige Ostfriese aus Leer sein Leben auf vielfältige Weise der Bluegrass und Country Musik. Dem väterlichen Handwerk, dem Orgelbau, konnte er nie etwas abgewinnen. Schon früh begeisterte sich Sievert für Bluegrass Musik und als Instrument hatte es ihm das Banjo angetan. Von Platten und jeder weiteren auffindbaren Quelle saugte er diese dynamischen, energetischen Klänge auf. Es dauerte nicht lange und er bildete eine eigene Band mit seinen beiden Brüdern und ein paar Freunden, die gleichermaßen dieser Musik verfallen waren. Im Laufe der Zeit lernte er auch Mandoline, Pedal-Steel-Guitar sowie Geige und elektrische Gitarre zu spielen. Hierzulande gibt es bis heute nur wenige Banjo- oder Pedal Steel-Spieler, die es mit Sieverts Stil, geprägt von Einfallsreichtum und erfrischender musikalischer Vielfalt, aufnehmen können. Obwohl er seinen Wurzeln in der US Country Musik-Tradition stets treu bleibt, zeigt er sich flexibel und überschreitet gern einmal die engen Grenzen des traditionellen Banjo- und Pedal Steel-Spielens.
Ähnlich wie Mark hat Sievert seine Musiker-Karriere auf eine zielstrebige Art und Weise vorangetrieben, die beide als wahre Künstler erweist. Er perfektionierte sein instrumentelles Handwerk und erwarb dazu beachtliches Können als Texter, Komponist, Arrangeur, Lehrer und vor allem als Musiker auf der Bühne. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass bei Sievert das Telefon klingelt, wann immer irgendwo bei einer Aufnahmesession in einem Studio eine Pedal Steel oder ein Banjo benötigt wird.
Seit einiger Zeit gehört Marks Sohn Thomas als Schlagzeuger und Background-Sänger der Band an. Im Alter von 23 Jahren ist er ein talentierter Songwriter und dazu ein versierter Gitarrist, der seit einigen Jahren mit eigenen Songs erfolgreich auftritt. Thomas Merritt ist ein Talent, von dem wir noch viel hören werden, wenn es im hart umkämpften Musikgeschäft gerecht zugeht.
Zu guter Letzt wird die Band verstärkt durch den Countrymusiker und Studiobesitzer Uwe Streletz, der den Bass bedient und auch die Tontechnik und das Abmischen für das Album übernommen hat.
Die Aufnahme
Da mich die vorherige CD Island Paradise aus dem Jahre 2009 sehr beeindruckt hatte, war ich froh, als ich 2013 erfuhr, die Band sei wieder im Studio, um ein Folgealbum wiederum mit selbstgeschriebenen Liedern aufzunehmen. The Hoot Owl stellt erneut Marks und Sieverts Künste als exzellente Songwriter unter Beweis. Ihre Texte besitzen oft eine subtile Poesie, die eine unaufdringliche Nachhaltigkeit austrahlt. Sie handeln von den Träumen, Hoffnungen, aber auch den Schicksalen und Problemen des Alltags. Die Musik schlägt eine Brücke zwischen zeitgenössischem Country und Bluegrass und dem Musikstil, der heutzutage als "Americana" bezeichnet wird. (Ich halte die frühere Bezeichnung "Singer-Songwriter" für zutreffender.)Offensichtlich gibt es bei Mark und Sievert kein Problem mit konkurrierenden Egos. Schon beim Anhören der ersten Titel wird klar, dass dieses Album ein genuines Gemeinschaftswerk ist. Nichts drängt sich in den Vordergrund, alles steht gleichberechtigt nebeneinander, zu hören sowohl am virtuosen und variantenreichen Instrumentalspiel wie bei den exzellenten Gesangsparts. Marks und Sieverts Konzept ist keinesfalls "retro" oder gar veraltet. Die Musik klingt definitiv heutig, stellt sich gerne auch mal gegen die nicht-traditionellen Strömungen. Und dass sich die Arrangements der Lieder nicht unbedingt am New Nashville Country orientieren, trägt gewiss zur Attraktivität bei.
Meiner Meinung nach ist The Hoot Owl in erster Linie ein Gesangsalbum. Mit dieser Aussage will ich nicht die profunde instrumentelle Arbeit schmälern, denn in der Tat bilden Mark Merritt und Sievert Ahrend eine perfekte Symbiose. Ihr neues gemeinsames Werk darf man ruhigen Gewissens als eine ebenso reif wie frisch klingende Zusammenstellung von entspannten, schön gesungenen sowie exzellent gespielten und produzierten Songs betrachten, die die Klasse der beiden nachhaltig unterstreicht.
Die Songs
Nun zur Musik. Sievert, der den Titel schrieb, besinnt sich bei Last Night I Dreamed mit seinem expressiven Banjospiel auf die dramatische Energie klassischer Bluegrass-Aufnahmen. Geschmackssicher greift er hier auf die Tradition der Stanley Brothers zurück, wie sie in ihrer Starday-King Zeit klangen. Der Text behandelt ein bekanntes Thema: Ein Liebhaber ist gegangen und die zurückgelassene Person verliert darüber den Verstand ... Natürlich findet der ausbalancierte Satzgesang von Mark und Sievert zusammen mit Thomas Anwendung.Mark und Sievert verfassten den nächsten Titel über eine Barkeeperin gemeinsam. Fernab von persönlichem Drama, dreht es hierbei sich um ihre sympathische Art, mit der sie müde und traurige Gemüter mit Getränken, Witzen, Lachen und Freundlichkeit aufmuntert. Die dynamisch-groovende Musik von The Girl Behind the Bar basiert auf dem Bakersfield Sound, der durch Merle Haggards frühe Aufnahmen bekannt wurde. Sievert wartet mit großartigen Pedalsteel-Läufen auf, die den Charakter der CD über weite Strecken prägen. Zudem glänzt er auf diesem Highlight noch mit einem „gepfefferten“ Gitarrensolo.
In Sand Between My Toes singt Mark von einem entspannten Urlaub am Meer inklusive Feiern, Damenwelt, Rum, Spaß und sonnigem Himmel. Aber zu viel Freizeit wird gerade einem Musiker spätestens nach drei Monaten langweilig! Sievert begleitet das Ganze geschmackvoll auf der Dobro, während Thomas dem Ganzen noch einen lateinamerikanischen oder auch karibischen Hauch mit Percussion und Steel Drums hinzufügt.
The Coming Fall, von Thomas Merritt geschrieben und von seinem Vater gesungen, ist die bewegende Geschichte dreier Brüder einer Soldatenfamilie, in der der jüngste die älteren Brüder, welche fern der Heimat im Krieg verstorben sind, überlebt und nachdenklich zurückbleibt. Ganz sicher ein Meisterstück des Songwritings, wobei jedes weitere Hören etliche neue Facetten und Bedeutungen hervorbringt. Bewusst in der Aussage nicht unpolitisch, darf es durchaus als ein Anti-Kriegs-Lied betrachtet werden. Sievert brilliert diesmal mit einem wehmütigen Sound auf der Dobro.
Marks Hommage an North und South Carolina ist eine langsame Ballade, deren Auftakt Sieverts Dobro-Spiel bildet. Mark verleiht dem Song ein zeitgemäßes Gefühl, wobei der Refrain in bester Eagles Manier im schönsten Satzgesang von der Band dargeboten wird. Auch stimmlich verlangt solch eine Ballade Marks ganzes Können. Aber das Balladensingen zählt eh zu seinen Stärken und ist mittlerweile sein spezielles Markenzeichen, durch sie kann er perfekt eigene Emotionen transportieren, die Zuhörer bisweilen zu Tränen rühren. Ebenso zählen Balladen nicht ohne Grund zu Sieverts Lieblingsstücken, da sie ihm genügend Raum und Zeit lassen, die gefühlsmäßige Intensität und Intension auch noch instrumental, meist an der Steel oder der Dobro, zu untermauern. Ein Familienurlaub in South Carolina war überhaupt der Auslöser für Mark, eine neue CD aufzunehmen und Carolina ist der erste dafür geschriebene Titel.
Sieverts Bluegrass Komposition Don't Count the Beers, ein Lied über einen Junggesellenabschied, bietet ein weiteres Paradebeispiel für sein Banjospiel, das Marks großartigen Gesang mit interessanten Läufen untermalt und von expressiven Mandolinensoli durchzogen ist. Gepaart mit einem eingängigen Refrain, macht das alles den Song zu einem regelrechten „Ohrwurm“!
Als nächstes folgt ein langsamer Countrywalzer. Er ist Marks und Sieverts melancholische Geschichte einer längst vergangenen Zeit (Times Long Gone) auf dem Lande. Marks sonore Stimme wird gekonnt von einfühlsamem Pedal Steel-Spiel begleitet und immer wieder von einigen Banjoklängen abgelöst. Die Botschaft des Songs über Verlust und Schmerz ist ausgesprochen bewegend, um nicht zu sagen herzzerreißend.
Thomas Merritt schrieb den Song Genuine Kind of Fine im Stil des Country-Jazz mit leichten Einflüssen vom Rock. Er handelt von einem geheimnisvollen Mädchen mit reizvoller Figur in wunderschönen Geisha-ähnlichen Gewändern, die den Männern den Kopf verdreht. Sievert antwortet auf Marks leicht rauchigem Gesang mit jazzigen Pedal Steel-Soli quasi in Dialogform. Er beendet das Lied schließlich mit einem beeindruckenden Lauf auf diesem, seinem Instrument.
Sieverts instrumentale Fähigkeiten werden stark gefordert bei It Just Don't Pay to Think, einer glaubwürdigen Hommage an den Honky Tonk Country aus den 1950er Jahren. So besteht das Intro aus einer typischen Geigenkadenz. Mark singt von bekannten Kneipen-Themen wie Frauen, dem Trinken, dem davon herrührenden Fallen von Barhockern und zieht daraus augenzwinkernd das Fazit, "er hätte besser seine Lektion aus den Liedern von Hank lernen sollen". Wie gewohnt verschmilzt Marks Gesang und Gitarrenspiel mit Sieverts mühelosem Begleit- wie Solospiel an seinen diversen Saiteninstrumenten.
Der folgende langsame Song wird von Sieverts inspiriertem Dobrospiel eingeleitet. She'll Be Back, das von Mark Merritt geschrieben wurde, handelt von einer Frau, die mit dem Zug aufbricht, um in die Ferne zu ziehen. Der Zurückgelassene hofft, sie möge doch zurückkehren. Das Stück lebt von der Sehnsucht nach und Hoffnung auf eine Liebe, die die Höhen und die Tiefen des Lebens, inklusive eine räumliche Trennung, überdauert. Schon die eindringliche Titelzeile wirkt fast wie ein Flehen, ein Mantra, das der wunderbare Satzgesang des Trios noch unterstreicht.
All Points West ist eine Hommage an Mark und Sieverts Stammkneipe gleichen Namens. Sieverts schmelzende Steel Guitar-Klänge nebst seinem sphärischen Mandolinensound bilden den typischen Hintergrund eines Westcoast Honky Tonk-Songs. Diese weichen Klänge korrelieren nicht zuletzt wegen des schönen Satzgesangs mit der heimeligen Atmosphäre eines „Zweiten Zuhauses“, wo man sich wohlfühlen, rumhängen und unterhalten kann.
Sievert glänzt bei Box on The Shelf, einem uptempo Song im Stile des Bakersfield Sounds, der besonders den Merle Haggard und Buck Owens Fans gefallen dürfte. Sein Intro, ein Dialog zwischen Lead-Gitarre à la James Burton und Steel à la Ralph Mooney, enthält das prägnante wiederkehrende Thema, welches in den Instrumentalparts immer wieder aufgegriffen wird. Neben dem wunderbar gesungenen Refrain des Triosist das Thema die Konstante in dem Song, in dem der Protagonist zuerst die „Talsohle“ seines Trennungsschmerzes und dann eine Phase von Selbstmitleid mit sämtlichen „Nebenwirkungen“ durchschreitet. Dabei ist die stets optimistische Eigendynamik der Musik gleichzeitig sein Anker und das aufrichtende Moment, wenn er durch das Wegräumen der "Erinnerungsstücke" eine neue Perspektive entwickelt. Ein wunderbar „wiegender“ Shuffle, auf bewegende, anrührende Art gesungen von Mark Merritt, ergänzt durch die hohen Backup-Stimmen von Thomas Merritt und Sievert Ahrend.
Auch das letzte Lied des Albums startet mit Sieverts Banjo-Klängen und verbindet gekonnt das Gefühl eines "Old Timey Hoedown"-Tanzes mit modernen Ideen. Außerdem versah er das Titellied The Hoot Owl mit einem amüsanten Text, bisweilen gespickt mit etwas derbem Humor. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass eine durchaus gebildete, gut situierte Dame mittleren Alters exakt diese Redewendung sprach, die der Umgangssprache entlehnt ist und später zur Titelzeile wurde. Bei der Hochzeit ihrer Tochter antwortete sie nämlich auf Sieverts Frage nach ihrer Herkunft:“ I come from "Where the hoot owl screws the chicken, ( that's where I wanna be)" Man kann sich Sieverts Überraschung ob dieser Dissonanz zwischen dem Erscheinungsbild der Frau und ihres Ausdruckes vorstellen, zumal er zunächst meinte, sich verhört zu haben. Aber nein, ein späteres Nachfragen bestätigte die Antwort: „Tennessee, where the hoot owl...“ Dieses nachhaltige Erlebnis wurde sogleich von Sievert in Form dieses Songs verarbeitet. Besten Dank an die Dame für die tolle Inspiration! Das Lied enthält ein weiteres Beispiel für Sieverts feuriges Mandolinenspiel und endet in doppeltem Tempo.
Diesem Kritiker haben sowohl die Texte als auch die Musik viel Genuss bereitet. Folglich muss jeder, der den Beweis für das Gelesene haben will, wohl das Album kaufen. Dies sollte man ohnehin tun, da der Leser bestimmt schon festgestellt haben dürfte, dass das Album großartig und wahrhaftig fein, oder besser gesagt "a genuine kind of fine", ist!
Gerd Wieben
Edewecht, im April 2013